Beyond the Screen
Caterina Mona über ihre Premieren in Locarno und die Kunst des richtigen Schnittes
22.08.2024
Caterina Mona hat zum zweiten Mal auf der Piazza Grande in Locarno Premiere gefeiert: Vor zwei Jahren als Regisseurin und nun als Schnittmeisterin mit dem von vielen lang erwarteten Film von Simon Jaquemet. Ein Blick zurück und einer nach vorne auf ihre vielfältigen Projekte.
«ELECTRIC CHILD» hast du geschnitten, in Locarno feierte er Weltpremiere. Was hat dich am Projekt fasziniert?
Ich hatte mehrere Jahre keine Montageangebote mehr angenommen, um meine eigenen Projekte zu realisieren. Als mich Simon fragte, ob ich interessiert wäre, seinen Film zu schneiden, zögerte ich zunächst. Nach dem Lesen des Drehbuchs und einigen Gesprächen war ich jedoch begeistert: ELECTRIC CHILD ist ein ambitioniertes Projekt mit einer hochaktuellen Thematik. Die Dimension ist etwas grösser als bei den meisten Schweizer Filmen, und Crew und Cast sind hochkarätig und international.
Auch inhaltlich fand ich die Verbindung einer realen menschlichen Tragödie und der Möglichkeit zur Rettung, die KI uns vielleicht in Zukunft bringen kann, faszinierend. Zudem war die Ausgangslage, den Film aus der Perspektive des nerdigen Computerwissenschaftlers Sonny zu erzählen – wie in einem Third-Person-Videospiel, mit der Kamera, die fast immer über seine Schulter filmt – eine montagetechnische Herausforderung, die mich reizte.
Was war die besondere Herausforderung bei «ELECTRIC CHILD»?
Der Film verbindet ein hochemotionales Thema – die schwere Krankheit eines Neugeborenen – mit der technischen Welt des Codens, der Künstlichen Intelligenz und all ihren Servern sowie der «realen» Welt eines KI-Wesens. Diese drei Elemente zu einem sinnvollen und spannenden Ganzen zu verweben war sehr herausfordernd.
Dein erster eigener Spielfilm «SEMRET» hat vor zwei Jahren in Locarno Weltpremiere gefeiert. Welche Reaktionen sind dir in Erinnerung geblieben?
Schon der Dreh von SEMRET war etwas vom schönsten, was ich in meinem Leben erlebt habe. Die ganze Crew war absolut fantastisch und ich fühlte mich – obwohl es mein erster langer Film war – immer gut aufgehoben. Diesen Zusammenhalt zu spüren, hat mich nachhaltig verändert und ich danke allen die dabei waren von Herzen dafür.
Viele Reaktionen auf SEMRET haben mich berührt. Besonders in Erinnerung geblieben sind mir die persönlichen Geschichten, die Zuschauer:innen nach der Vorführung mit mir geteilt haben. Viele haben sich in den Figuren und den dargestellten Konflikten wiedererkannt und mir erzählt, wie sehr sie die emotionale Tiefe und Authentizität des Films bewegt hat. Es war schön zu sehen, wie stark sich Menschen aus verschiedenen Kulturen und Hintergründen mit der Geschichte identifizieren konnten, obwohl sie in einem spezifischen Kontext spielt.
Du hast in einem früheren Interview gesagt, dass du daran glaubst, dass das Leben einen genau dort hinführt, wo mensch hin muss.
Der Kern dieser Aussage ist, dass man das eben nicht wissen kann. Daran halte ich mich. Ich versuche, an meinen Sachen dranzubleiben und offen durch die Welt zu gehen. Ich möchte hier jedoch noch hinzufügen, dass ich diese Maxime aus einer extrem privilegierten Position heraus leben kann, wofür ich wahnsinnig dankbar bin.
Gab es einen prägenden Moment für dich, der dich zum Film brachte?
Es gab nicht einen Moment, sondern einen Menschen: meine Mutter. Sie kam aus eher einfachen Verhältnissen und hat keine akademische Ausbildung genossen. Trotzdem spielten Literatur, Kunst und Film in ihrem Elternhaus immer eine wichtige Rolle. Dies hat sie mir mitgegeben.
Welche Fähigkeiten sind hilfreich, um eine gute Schnittmeisterin zu sein?
Ich habe in Belgien die Filmschule besucht und schnell gelernt, dass es wirklich viele unterschiedliche Fähigkeiten braucht, um gut zu sein. Es hilft grundsätzlich, ein fundiertes filmhistorisches Wissen zu haben und auf dem neuesten Stand zu bleiben. Man braucht ein Gefühl fürs Geschichtenerzählen, Interesse an aktuellen und historischen Weltereignissen sowie an anderen Kulturen. Man muss Freude daran haben, in die Tiefen der menschlichen Psyche einzutauchen, und braucht ein Gespür für Sprache(n) und Rhythmus. Das Allerwichtigste ist meiner Meinung nach jedoch, dass man die Fähigkeit haben muss, seinen eigenen Willen und seine eigene Vorstellung zu haben, diese aber immer in den Dienst des Films zu stellen.
Beim Schnitt arbeitest Du eng mit der Regie zusammen, wie intensiv ist die Zusammenarbeit?
Wie bei jeder engen Zusammenarbeit kann es zu Unstimmigkeiten kommen, aber Streit hatte ich noch nie. Wie oben schon angedeutet, ist es im Endeffekt ja nicht mein Film, und das ist fundamental für mich. Es gab (wenige) Projekte, bei denen ich gemerkt habe, dass es nicht passt. Da bin ich aber radikal und breche die Übung sehr schnell ab.
Welche Berufskolleg:innen inspirieren dich?
In Bezug auf meinen Beruf als Editorin sind es vier Kolleg:innen: June Kovach und ihre Arbeit habe ich schon als Kind kennen und lieben gelernt. Sie war für mich eine der besten Editorinnen überhaupt, und ihr Werk hat mich geprägt. Tania Stöcklin inspiriert mich sowohl auf beruflicher als auch auf menschlicher Ebene. Noemi Preiswerk ist «meine» Editorin. Ich kenne sie privat schon seit langem und habe ihren Werdegang mitverfolgt. Seit einigen Jahren verfolgt sie ihre Karriere zielgerichtet und hat den Sprung über den Teich gewagt, was ich bewundere. Und dann Gion-Reto Killias: eine wunderbare Person, die aussergewöhnlich begabt und viel zu bescheiden ist.
In welcher Sprache schreibst du deine Drehbücher? Hast du auch schon in Fremdsprachen geschrieben.
Hauptsächlich auf Deutsch. Manchmal Italienisch (Muttersprache). Und wenn ich eine frankophone Drehbuchberaterin habe, dann eben Französisch. In der Entwicklung eines Drehbuchs wird es immer irgendwann einmal eine englische Version geben – für Labs, Workshops, Casting-Agent:innen etc. – aber das würde ich nicht von Anfang an machen, das ist dann einfach eine Arbeitsfassung. Spanisch liebe ich und kann mich mündlich durchschlagen, aber schreiben kann ich es nicht.
Und an welchen Projekten arbeitest du zurzeit?
Zur Zeit arbeite ich in der Produktion des neuen Spielfilms von Erik Bernasconi BECAÀRIA. Dies ist eine einmalige Angelegenheit für mich, aber es ist unglaublich spannend einmal auch diesen organisatorischen Kern des Films mitzuerleben. Sobald ich hier fertig bin - Ende August - freue ich mich darauf wieder meine eigenen Ideen zu verfolgen.
Ich habe mehrere Projekte, die sich in verschiedenen Entwicklungsstadien befinden. Einige Ideen sind thematisch nicht so fern von SEMRET. Es geht um Familie, transgenerationale Traumata und den Umgang damit. Aber andere gehen mehr in Richtung Comedy. Ich werde mich entscheiden müssen, was nicht einfach sein wird.
An welchem Festival möchtest du liebend gern mal einen Film von dir im Programm haben?
Ich hatte das Glück, meinen ersten Film auf der grössten Leinwand Europas in Locarno zu zeigen. Natürlich gibt es andere spannende Orte, aber schlussendlich geht es mir mehr darum, dass der Film das Publikum berührt als wo er uraufgeführt wird.