Beyond the Screen – Linda Harper

Die Schweizer Kostümdesignerin über die Zusammenarbeit mit Petra Volpe und warum Arztkittel nie rosa sind

11.02.2025

Nach einer Haut Couture Ausbildung kreierte Linda Harper ihre erste Modekollektion in Berlin. Später beginnt sie als Kostümdesignerin für Kinofilme zu arbeiten. Unter anderem hat sie die Kostüme für DIE GÖTTLICHE ORDNUNG von Petra Volpe gestaltet. 2021 gewinnt Linda Harper den Spezialpreis der Akademie für das Kostümdesign in den Filmen PLATZSPITZBABY, VON FISCHEN UND MENSCHEN und SPAGAT. Ihre Kostümbilder wurden dank diesen Filmen bereits an unzähligen Filmfestivals und Awards international gezeigt.

Wie und warum bist du Kostümdesignerin geworden? 

WIE ist schwierig zu beantworten. Letztendlich war es Zufall, am richtigen Ort zum richtigen Zeitpunkt in Berlin nach der Wende zu sein, nach meiner langen Asienreise. Eine immense Aufbruchstimmung durfte ich in Berlin miterleben. Keiner wusste, wo's lang geht und wohin es führt. Offen für alles – Hauptsache, wir konnten unsere Kreativität ausleben! Noch heute habe ich sehr enge Freundschaften von damals, die mich auf meinem Weg begleiten und mich geprägt haben.

WARUM ist sicher einfacher zu beantworten: Ich habe eine Affinität zu Textilien, deren Stofflichkeit, Strukturen und farbliche Nuancen. Entsprechend können diese am Körper die Silhouette und die Figur in ihrer Rolle unterstützen. Dazu habe ich auch immer eine Vision für das ganze Bild und kann mich sehr gut in Menschen und Rollen hineinversetzen. Ich liebe die kreative Zusammenarbeit mit Schauspieler:innen und Regisseur:innen im Moment der Anproben, um das Kostümbild auf den Punkt zu bringen.

«Heldin» feiert an der Berlinale Weltpremiere. Musstest du lange überlegen, bei diesem Film zuzusagen? 

Petra Volpes Vertrauen in mich und meine Arbeit ist seit Beginn unserer Zusammenarbeit über all die Jahre sehr wertschätzend. Dies beruht auf Gegenseitigkeit. Uns geht es stets uneingeschränkt um die Sache, den Inhalt und die Themen, welche wir dem Kinopublikum näherbringen wollen. Sie ist eine exzellente Regisseurin und begnadete Drehbuchautorin, die Menschlichkeit in Worte fassen kann und das Publikum sowie ihr Filmteam damit berührt. Ich muss keine Sekunde überlegen, wenn Petra Volpe sich bei mir mit einem neuen Drehbuch meldet.

Was war bei «Heldin» die grösste Herausforderung?

Nun ja, kostümtechnisch konnte ich da nicht mit dem hohen Ross losgaloppieren und wild mit wehenden Haaren um mich kreieren. Was bedeutet, dass ich einen relativ klaren, engen Rahmen hatte, – genau das war die Herausforderung.

Mussten die Kostüme besonderen Anforderungen genügen?

Wie erwähnt, geht es für mich immer um die Sache und den Inhalt und wenig darum, mich künstlerisch zu behaupten. Wir wollten modern und aktuell sein. Bei meinen Recherchen habe ich mich gefragt, weshalb ein Arztkittel von Farbe und Schnitt nach Hunderten von Jahren immer noch gleich aussieht.

Kurzum, hat es in unseren Breitengraden in erster Linie mit Vertrauen zu tun, ebenso die Farbe Weiss, was sich über Generationen in unseren Köpfen manifestiert hat. Grundsätzlich konnte man früher ungefärbte Stoffe gut kochen und so von allen Flecken befreien. Heute wäre dies aber nicht mehr nötig, und trotzdem macht keine Ärztin oder Arzt eine Visite im rosa Arztkittel.

Wie würdest Du die Zusammenarbeit mit Petra Volpe beschreiben?

Petras menschliche Ehrlichkeit, welche sie an ein Publikum bringt, fasziniert mich. Was sie schreibt, bewegt sie auch persönlich. Wie für TRAUMLAND oder DIE GÖTTLICHE ORDNUNG setzt sie sich Jahre mit den Themen auseinander und eignet sich so ein fundiertes Wissen an. Für HELDIN arbeitete sie im Vorfeld mit DoP Judith Kaufmann und Schauspielerin Leonie Benesch im Spital, um sicherzustellen, dass möglichst keine Fehler in Dialogen, Handhabungen, Abläufen etc. entstehen.

HELDIN zeigt auf, wie unermesslich hart dieser Job ist, was aber nach der Pandemie fast wieder in Vergessenheit geraten ist. Das Pflegepersonal kämpft mit Sparmassnahmen, läuft etliche Kilometer pro Schicht mit Stützstrümpfen und kann anhand der Dringlichkeiten kaum Pausen einhalten. Ein Beruf, bei welchem es täglich um Leben und Tod geht – ein Thema, welches quasi jede:n von uns betrifft. Petra zeigt in HELDIN wie wertvoll diese Arbeit ist und wie schwierig es sein wird in 30 Jahren mit dem Fachkräftemangel.

Ab welchem Zeitpunkt bist du richtig intensiv in die Projekte involviert?

Ab dem Moment, wo ich das Drehbuch gelesen und das Projekt gefördert und umgesetzt werden kann.

Hat dir der Schweizer Filmpreis einen Schub gegeben, bei Projekten mehr internationale Sichtbarkeit zu kriegen? 

Persönlich hat mir dieser Preis völlig unerwartet gezeigt, dass meine Arbeit als Kostümbildnerin bei PLATZSPITZBABY, VON FISCHEN UND MENSCHEN oder SPAGAT sichtbar ist. Auch dieses Jahr waren wieder drei Kinofilme an den Solothurner Filmtagen vertreten, bei denen ich als Kostümbildnerin mitwirken durfte: LES COURAGEUX, DER SPATZ IM KAMIN und BAGGER DRAMA. Diese Filme und ihre Themen gehen meist einen internationalen Filmfestivalweg. Dazu kommt nun die Weltpremiere von HELDIN an der Berlinale – in der Stadt, wo alles angefangen hat. Jetzt fehlt für meinen Geschmack nur noch das Filmfestival in Cannes. Ich bin bescheiden, aber im Träumen immer gross.

Welches sind deine nächsten Projekte – zum Beispiel «Little Adam» von Karim Patwa? 

Unter anderem, ja. Ein wunderbares Drehbuch mit einem politisch internationalen Potenzial. Wir drücken nun die Daumen für die Filmförderung.

Was willst Du mit den Kostümen rüberbringen?

Immer etwas anderes! Dabei spielen viele Faktoren mit, weshalb mein Job unendlich ist in Gedanken, Träumen, Tiefe, Nähe, Emotionen, Humor und Spass. Es hat viel mit einer gemeinsamen Vision und Vibe eines Teams für das Gesamte zu tun.

Auf meiner Website sind einige Statements zu finden, welche die Früchte unserer Zusammenarbeit persönlich beschreiben, zum Beispiel von Produzentin Linda Vogel zum Projekt UNRUEH von Cyril Schäublin, von der Produktionsfirma Zodiac Pictures oder von Schauspieler:nnen wie Bettina Stucky. Meist bleibe ich subtil, dafür habe ich eine Schwäche. Mir ist es nicht so wichtig, dass alle sehen, was ich mache, geheimnisvoll finde ich spannender.

Behältst Du einige Kostüme für dich als Erinnerung an den Film?

Nicht zwingend als Erinnerung an einen Film. Mein Kostümfundus darf nicht einengend sein; ich brauche jeweils viel Licht und Raum für meine Konzepte und Ideen. Aber kleine skurrile Errungenschaften von Flohmärkten, welche mich begeistern und für die ich noch eine Geschichte dahinter suche, finden manchmal ihren Platz bei einer Figur und durften auch schon Mal auf die grosse Leinwand ins Rampenlicht.

Hast Du auch schon Material wiederverwendet?

Ich habe einen sehr gut bestückten Kostümfundus mit Basics, auf die ich bei jedem Budget zurückgreifen kann. Ich bevorzuge es, für elementare und essenzielle Kostüme das Kostümbudget auszugeben, worauf ich, die Rolle oder die Regie nicht verzichten möchte. Dies verschafft mir Freiraum beim Kreieren meiner Kostümbilder.

Ich experimentiere sehr gern und liebe es, meine Recherchen zu hinterfragen und über den Tellerrand hinaus zu kreieren, um mich im Anschluss auf das Minimum zu reduzieren und auf den Punkt zu kommen. Diese Reisen in meinen Anproben werden von den Schauspieler:innen und Regisseur:innen unglaublich geschätzt, weil sie Dialoge schaffen und sicherstellen, welche Vision wir gemeinsam umsetzen. Kostümanproben sind wie hungrig gemeinsam zu dinieren. Sie verschaffen ein unerlässlich wohliges Gefühl, gesättigt und zufrieden zu sein –einfach wunderbar.

Auf was für ein «crazy» Projekt hättest Du mal Bock?

Da bringst Du mich zum Schmunzeln, denn manchmal gibt es Projekt-Überschneidungen. Ich wurde als Kostümbildnerin für das crazy Projekt NOVAK von Heretic Films angefragt, der Koproduktionsfirma von TRIANGLE OF SADNESS, das mit der Schweiz koproduziert wird, mit Ella Rumpf und Zlatko Buric. Regisseur Harry Lagoussis und Produzent Giorgos Karnavas waren begeistert von meiner Arbeit und würden sehr gerne mit mir arbeiten; vielleicht ergibt sich dies bei einem anderen Projekt.

In Berlin hatte ich zu den goldenen Musik-Clip-Zeiten oft für crazy Produktionen gearbeitet. Dort lernte ich viel über die Möglichkeiten, die man künstlerisch als Kostümbildnerin hat. Beherrscht man das handwerkliche Know-how, so geht man über die menschliche Silhouette hinaus. Ich bin im kreativen Bereich sehr breit aufgestellt, dank der vielen abwechslungsreichen Erfahrungen, welche ich bisher an all den tollen Projekten umsetzen durfte und die mich wachsen liessen. Ich bin sehr offen für «crazy Projekte» im In- und Ausland, liebe es zu reisen und in andere Kulturen einzutauchen.

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