Beyond the Screen

Meret Madörin über Teamgeist am Set

30.07.2024

Meret Madörin ist an vielen Orten mit der Kamera anzutreffen. Soeben hat sie PUPPEN & KRIEGER abgedreht, der im Rahmen der SWISS FILMS Previews in Locarno präsentiert wird. Die Kamerafrau spricht über das Einfangen der richtigen Bilder, ihre Faszination für das Filmen, ihr Set-Leben und Teamgeist.

Du hast PUPPEN & KRIEGER von Lisa Blatter soeben abgedreht. Die Tessinerin Carla Juri spielt eine der beiden Hauptrollen. Wie war die Arbeit mit der Schauspielerin am Set?

Mit der Regisseurin Lisa Blatter und Carla Juri zusammenzuarbeiten war sehr angenehm. Wir hatten eine intensive Vorbereitungszeit und eine starke gemeinsame Vision. Auf dem Set haben wir quasi ohne Worte kommuniziert. Carla Juri meinte nach Drehende zu mir, dass ich mit der Kamera für sie unsichtbar gewesen sei. Und das ist für mich das schönste Kompliment. Manchmal sind es nur Blicke, die ich kurz vor oder nach einem Take mit Schauspielenden austausche. Ich versuche mit ihnen stets nur das Wichtigste zu kommunizieren und bleibe ansonsten gerne zurückhaltend, um Freiraum für das Spiel und die Inszenierung zu lassen. Ich beobachte viel und versuche ein tiefes Vertrauen aufzubauen. Im Verlaufe der Drehzeit entwickelt sich eine Beziehung zu den Schauspielenden, die sich auch kreativ auf meine Arbeit auswirkt.

Wie würdest du deinen Kamerastil beschreiben?

Mein Kamerastil ist wandelbar. Ein Stil, der sich an die Geschichte und die Vision anpassen kann. Trotzdem prägt meine Bildsprache eine unverkennbare Handschrift in stetiger Entwicklung. Organische Kamerabewegungen, eine natürliche Lichtgestaltung für eine intime und authentische Atmosphäre, präzise, grafische und durchdachte Bildkompositionen sowie Bilder, die einer Erzählung emotionale Tiefe geben, sind das, wonach ich in meiner Bildsprache strebe.

Wie schwierig ist es Szenen einzufangen ohne sich vom Gespielten ablenken zu lassen?

Egal, ob ich fiktional oder dokumentarisch drehe, ich lasse mich immer voll und ganz auf die Szene vor der Kamera ein. Da jedoch immer ein Objektiv und ein Bildsensor zwischen mir und dem Geschehen vor der Kamera liegt, kann ich eine gewisse Distanz bewahren. Es kommt öfter vor, dass mich eine Szene vor der Kamera emotional sehr berührt, trotzdem lasse ich mich davon nicht ablenken, sondern versuche immer den Überblick zu behalten. Wenn die Klappe geschlagen ist, bedeutet das für mich höchste Konzentration und Präsenz für alles, was vor der Kamera passiert. Ich liebe diesen Moment, wenn die Klappe fällt, jedes Crewmitglied seinen Platz hat und Ruhe auf dem Set einkehrt, bevor das Spektakel beginnt.

Wie hast du Đức Ngõ Ngọc kennengelernt,mit dem du unter anderem TRADING HAPPINESS gedreht hast?

Den Regisseur und Autor Đức Ngô Ngọc habe ich während meines Masterstudiums an der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf kennen gelernt. Nach der Zusammenarbeit bei TRADING HAPPINESS, den wir in Vietnam gedreht haben, durfte ich glücklicherweise für drei weitere Projekte von Đức Ngô Ngọc die Bildgestaltung übernehmen. Zurzeit arbeiten wir an einem nächsten Kinofilm zusammen. Wir ergänzen uns und streben nach der gleichen Vision. Es ist für mich sehr bereichernd miteinander eine gemeinsame Sprache zu finden, uns gegenseitig zu inspirieren und uns gemeinsam künstlerisch weiterzuentwickeln.

Du bist viel im Ausland unterwegs wie zum Beispiel für den mehrfach ausgezeichneten Film EXILE NEVER ENDS von Bahar Bektaş.

Stimmt. Meine neuste Arbeit für die Regisseurin Bahar Bektaş entstand in der Türkei: ein intimes Portrait über eine kurdisch-alevitische Familie. Als Kamerafrau möchte ich mit meinen Bildern thematische und kulturelle Brücken bauen und Verbindungen schaffen. Ich hege eine grosse Faszination für Geschichten, Themen und Menschen aus einer Kultur, die nicht meine eigene ist. Die Arbeit im Ausland und die Zusammenarbeit mit Filmemachenden aus verschiedenen Ländern ist bereichernd und teils überraschend. Als ich in Vietnam gedreht habe, arbeitete ich mit einer fast ausschliesslich einheimischen Licht- und Kameracrew zusammen, die noch nie mit einer Frau an der Kamera gearbeitet hat. Das braucht Mut und viel Zeit, um Vertrauen aufzubauen.

Ist Kamerafrau ein Einzel- oder ein Teamsport?

Kamerafrau ist definitiv ein Teamsport. Sowohl beim fiktionalen als auch beim dokumentarischen Film. Es ist eine enge Zusammenarbeit mit der Crew und dem Cast, die für die Produktionszeit meine Familie werden. Da für jeden Film eine neue Teamkonstellation zusammenkommt, bleibt es immer spannend.

Hast du Rituale, Fixpunkte?

Während dem Dreh habe ich immer einen Notizzettel in meiner Hosentasche, auf dem ich mir die wichtigsten visuellen Gedanken als Leitfaden notiert habe. Diese Notiz gibt mir eine gewisse Sicherheit. Neben einer präzisen Vorbereitung ist für mich eine harmonische und produktive Stimmung auf dem Set essenziell. Es vergeht also kein Drehtag, an dem ich nicht jedem Crewmitglied als Start in den Drehtag «Morgen» sage.

Zusammen mit der Regisseurin Cosima Frei hast du THERE IS NO END TO THIS STORY gedreht. Was macht den Film aus?

Das ist ein besonderer Film in hybrider Form. Er lebt von dokumentarischen und fiktionalen Szenen, die in der Montage geschickt miteinander verwoben werden. Ich mag dokumentarische Elemente beim fiktionalen Spielfilm. Damit meine ich die Authentizität in der Lichtgestaltung, die Nähe zur Realität oder eine beobachtende Kamera, die trotzdem nah am Geschehen ist. Es bedeutet mir sehr viel, wenn eine Schauspielerin oder ein Schauspieler die Kamera kaum bemerkt oder sich Protagonist:innen beim Dokumentarfilm so öffnen, als wäre keine Kamera mit ihnen im Raum.

Und an welchem Projekt arbeitest du momentan?

Zurzeit arbeite ich an einem Kinodokumentarfilm der Regisseurin Sabine Lidl, den ich gemeinsam mit dem Kameramann Filip Zumbrunn realisiere. Der Film SIRI HUSTVEDT – THE BLAZING WORLD ist ein Portrait über die US-amerikanische Schriftstellerin und Essayistin Siri Hustvedt. Die Dreharbeiten für diesen Film führen mich erneut in ferne Länder: Der nächste Drehblock findet am nördlichsten Punkt Norwegens statt. Und ich freue mich diesen Herbst ein schönes neues Filmprojekt zu realisieren. Mehr dazu darf ich noch nicht kommunizieren.

Gibt es Cinematograph:innen, deren Stil unverkennbar ist?

Rachel Morrison, Natasha Braier, Ari Wegner oder Judith Kaufmann sind Kamerafrauen, deren Stile für mich prägend waren.

Mit wem würdest du gern mal einen Kaffee trinken?

Als Inspiration für meine künstlerische Arbeit würde ich mich gerne mit einer Szenenbildnerin oder einem Szenenbildner oder einer Oberbeleuchterin oder einem Oberbeleuchter austauschen. Damit ein einzigartiges Bild entstehen kann, braucht es nicht nur mein Auge, welches durch das Okular das Geschehen betrachtet, sondern auch einen engen Draht und gute Kommunikation mit dem Szenenbild und dem Licht. Der Austausch mit diesem Viereck an Gewerken – die Regie miteinbezogen – ist eine grosse Inspirationsquelle für die Entfaltung von Kreativität und Gestaltung.

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