Beyond the Screen mit Carlos Ibañez Diaz
Der Sounddesigner über die Bedeutung des Tons im Film und seine Suche nach dem perfekten Sound
02.09.2025
Carlos Ibañez Diaz hat in Kuba, Paris und an der HEAD in Genf studiert, wo er heute lebt und arbeitet. 2023 gewann er den Schweizer Filmpreis für den besten Ton in FOUDRE. Er ist der Sounddesigner von LAS CORRIENTES von Milagros Mumenthaler, der in der Platform Competition am TIFF Premiere feiert.



Wie bist du zum Sounddesign gekommen?
Ich habe mich schon immer für die Klanggestaltung und die Entwicklung der filmischen und musikalischen Narration durch Ton interessiert. An der Schule in Kuba hatte ich die Möglichkeit, beim legendären Michel Fano zu studieren: Musiker, Forscher und Erfinder der Tonpartitur. Dank ihm entdeckte ich die Interaktion von Ton als konkrete Musik in der filmischen Narration, der eine Art Kontrapunkt zum Bild schafft und eine dritte (neue) Bedeutung erzeugt.
Was ist das Spezielle am Filmton?
Der Ton im Film hat mehrere Ebenen und verschiedene narrative Möglichkeiten. Zunächst einmal kann er sich darauf beschränken, die Bilder zu illustrieren, d.h. sie mit einem passenden Klang zu untermalen. Hier stellt sich eine der ersten Fragen: Was passt zu dieser Begleitfunktion? Jede Entscheidung beeinflusst und bestimmt die Farbe jedes dieser Elemente.
Eine weitere mögliche Ebene besteht darin, einen wirklichen Kontrapunkt zu schaffen, indem man die Bebilderung vermeidet und durch das Zusammenspiel von Bild und Ton eine völlig neue Bedeutung erzeugt. Diese Ergänzung eröffnet eine neue mögliche narrative Bedeutungsebene.
Die dritte Ebene ist die der musikalischen Abstraktion: Musik als solche hat eine eigene Erzählweise und kann Eindrücke hervorrufen. Sie kann eine Sequenz in eine gewünschte emotionale Richtung lenken, ohne sich dabei unbedingt auf das Bild zu beschränken. So wird der Ton zu einem Element, das eine subjektive Ebene einbringt und die Empfindungen im Kino beeinflusst. Ohne diese abstrakten Empfindungen gibt es keine filmische Erzählung.
Wie verlief die Zusammenarbeit bei «LAS CORRIENTES»?
Ich hatte das Glück, seit ihrem ersten Spielfilm mit der Regisseurin Milagros Mumenthaler zusammenzuarbeiten, zunächst als Tonassistent an der Seite eines der besten Toningenieure Europas, Henry Maïkoff. Dank ihm und durch das Beobachten von Milagros’ Arbeit konnte ich viel von dem lernen, was ich anwende.
Milagros ist nicht nur eine der besten Regisseurinnen unserer Zeit, sondern auch eine echte Künstlerin, die sich intensiv für die Tongestaltung im Kino interessiert, ja sogar davon besessen ist. In all ihren Filmen wird ein Grossteil der Stimmung und Atmosphäre durch den Ton vermittelt. Sie betrachtet ihn nie als blosse Aufgabe der Postproduktion: Er ist bereits beim Schreiben des Drehbuchs präsent und wird während der Dreharbeiten, beim Tonschnitt und bis hin zum Abmischen intensiv überarbeitet.
Mit Milagros entsteht immer ein reichhaltiger und spannender Dialog über die Verwendung von Ton als Element der Erzählung, der Glaubwürdigkeit, der Atmosphäre und des Traums.
Mit «FOUDRE» hast du den Schweizer Filmpreis gewonnen. Was hat dir besonders an diesem Projekt gefallen?
Die Zusammenarbeit mit Carmen Jaquier an FOUDRE war sehr interessant und voller Herausforderungen. Einen historischer Film, der im heutigen Wallis mit einem kleinen Budget gedreht wurde, was uns manchmal vor komplexe Situationen stellte. Aber dank der grossartigen Arbeit von Nadine Häusler am Boom konnten wir tolle Ergebnisse erzielen. Hervorzuheben sind auch er Tonschnitt von Raphaël Sohier sowie die Tonmischung von Denis Séchaud.
Ich mag diese zweite Erzählung auf der Tonebene, die die Gedanken der Protagonistin zum Ausdruck bringt – ihre Einsamkeit, die Kälte ihrer Epoche, verwoben mit aufkeimender Sinnlichkeit und Selbstfindung.
Gab es einen Ton, der dich nicht mehr losgelassen hat?
Manchmal verwende ich, fast heimlich, Klänge aus der Bibliothek von Michel Fano – wie eine geflüsterte Präsenz. Darunter eine Aufnahme der Zisternen von Istanbul, die ich gerne in das Klangmaterial einfliessen lasse, wie ein fernes Echo voller Geheimnisse.
Bist du immer auf der Pirsch nach neuen O-Tönen?
Ich bin immer auf der Suche nach neuen Tönen, neuen Sounds. Ich habe fast immer ein Interface mit Stereomikrofonen an mein Handy angeschlossen und bin bereit, etwas aufzunehmen, sobald mich etwas anspricht.
Wie gross ist deine Sound-Bibliothek?
Ich nutze eine sehr umfangreiche Klangdatenbank, die zwischen 30 und 40 Terabyt umfasst, zu der private Klangbibliotheken sowie spezialisierte Online-Bibliotheken hinzukommen.
Was gefällt dir an deinem Job am meisten?
Ich liebe es, mich in den kreativen Prozess zu vertiefen – sei es beim Drehen, beim Tonschnitt oder beim Abmischen. Im Autorenfilm finde ich den wertvollen Raum, in dem man neue narrative Wege erkunden, frei experimentieren und aktiv zur Entstehung einer einzigartigen Sprache beitragen kann – der Sprache des Films, der gerade am Entstehen ist.
Das Gefühl, die Idee des Regisseurs begleitet und ihn bei deren Verwirklichung unterstützt zu haben und zu wissen, dass der Film, wenn auch nur ein wenig, die Spuren meines Beitrags beinhaltet: Das ist eine der grössten Befriedigungen meines Berufs.
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