Beyond the Screen – Esmé Sciaroni
Über blindes Verständnis und den richtigen Farbtton
03.07.2025
Für die Schweizer Koproduktion DIE VORKOSTERINNEN von Silvio Soldini (IT/BE/CH) setzte die Schweizer Maskenbildnerin die Schauspielenden gekonnt in Szene. Bereits in über 50 Länder verkauft, zeichnet sich mit diesem Film ein ähnlicher Erfolg ab wie mit Sciaronis früherer Arbeit bei LA CHIMERA von Alice Rohrwacher. Ein Gespräch über die Croisette und den Wandel im Beruf.



Für «DIE VORKOSTERINNEN» hast Du mit Silvio Soldini zusammengearbeitet. Wie würdest Du eure Zusammenarbeit beschreiben?
Dieses Jahr sind es 40 Jahre, die ich mit Silvio zusammenarbeite. Wir haben uns in jungen Jahren kennengelernt, sind Freunde geworden. Seitdem habe ich an nahezu all seinen Filmen mitgewirkt. Für DIE VORKOSTERINNEN hatte ich den Roman zwei Jahre vor Drehbeginn gelesen, und wir haben viel darüber gesprochen. Die Idee gefiel mir sofort. Silvio und die italienische Produktionsfirma Lumière suchten zu dem Zeitpunkt noch einen deutschschweizerischen Koproduzenten. Ich schlug eine Lösung vor, und sie hat funktioniert.
Unsere Zusammenarbeit braucht kaum Worte; wir sind gemeinsam gewachsen – auch in unserer filmischen Sprache. Heute weiss ich genau, was er möchte und mag – das deckt sich mit meinem Geschmack.
Wie verlief die Zusammenarbeit am Set mit den deutschen Schauspielerinnen?
Es war wichtig, den Film so authentisch wie möglich zu gestalten; daher fiel die Wahl auf deutschsprachige Schauspielende. Silvio wollte nicht, dass der Film als rein italienischer Film wahrgenommen wird – dank eines internationalen Casts und mit immensem Einsatz aller Künstler und Künstlerinnen. Für mein Team und mich war das Projekt ein Geschenk. Sie waren für zu begeistern, selbst wenn das Make-up entstellende Veränderungen oder Zahnprothesen erforderte.
Was hat «DIE VORKOSTERINNEN» für dich besonders gemacht?
Die Geschichte spielt während des Zweiten Weltkriegs, was umfangreiche historische Recherchen verlangte. Silvio Soldini und der Schweizer Kameramann Renato Berta hatten bereits Farbpalette und Atmosphäre festgelegt; darauf basierte meine Wahl der Make-up-Farben. Die ersten Tests sind immer entscheidend, weil sie verschiedene Ansätze konkretisieren. Beim fertigen Film nahm ich gemeinsam mit Renato Berta am abschliessenden Colourgrading teil – ein wunderschöner Abschluss meiner Arbeit.
Dein letzter grosser Erfolg war 2023 in Cannes mit «LA CHIMERA» – dein erstes Mal an der Croisette?
Nein, ich war schon 2017 mit LA PAZZA GIOIA von Paolo Virzì und 1992 mit zwei Filmen, darunter IL LADRO DI BAMBINI von Gianni Amelio, der den Grossen Preis der Jury gewann. Welch eine Ehre! Damals arbeitete ich auch zum ersten Mal mit Produzentin Ruth Waldburger.
Wie bist du zum Film gekommen?
Seit meiner Jugend besuchte ich den Filmclub und das Filmfestival von Locarno. Kino war immer eine grosse Liebe, doch ich dachte nie, daraus einen Beruf zu machen.Mit 19 zog ich vom Tessin nach Paris, um eine Schule für künstlerisches Make-up zu besuchen – es gab damals weder in der Schweiz noch in Italien umfassende Ausbildungen. Ursprünglich wollte ich Theater-Make-up machen, merkte aber schnell, dass man davon schwer leben konnte. Die Liebe zum Film-Make-up entdeckte ich bei einem Kurzfilm der IDHEC (heute FEMIS) – Liebe auf den ersten Blick für das Set; seither hat mich die Leidenschaft für Dreharbeiten nicht mehr verlassen.
Bist du während der gesamten Dreharbeiten am Set?
Absolut. Nur am Set sieht man, ob die Vorbereitung wirklich funktioniert und den richtigen Ton trifft – für mich, aber vor allem für Regisseur und Kameramann.
Für die Serie L’AMICA GENIALE (MY BRILLIANT FRIEND) von Saverio Costanzo waren wir vier Stunden vor Drehbeginn am Set, um Schauspielerinnen und Komparsinnen vorzubereiten. Das war eine immense Arbeit: Kostüm-, Make-up- und Haar-Abteilungen umfassten zusammen bis zu fünfzig Fachleute. Neben dem Make-up-Design war ich Head of Department Make-up – für die ich das erste Mal Verantwortung trug. Meine Architekturstudien half mir hier sicherlich dabei, alles unter einen Hut zu kriegen. Es macht Spass mit Regie und Produktion enger zusammenzuarbeiten. Die Serie war in den USA ein riesiger Erfolg und brachte mir die Ehre ein, Mitglied der Academy AMPAS zu werden, die jährlich die Oscars vergibt.
Wie hat sich der Beruf der Maskenbildnerin entwickelt?
Die Zeiten, in denen alles allein gemacht wird, ist definitiv vorbei; die Techniken haben sich enorm weiterentwickelt. Das analoge Filmmaterial ist fast gänzlich verschwunden, alles ist digital. Die Anforderungen sind andere. Es gibt immer mehr Spezialist:innen für Effekte und neue verwandte Berufe. Trotzdem bleibt es ein privilegierter Beruf – jedes Projekt ist eine Herausforderung.
Kannst du schon über neue Projekte sprechen?
Zurzeit arbeite ich an einem Pilotfilm für eine Serie und stelle Dossiers für Spielfilme zusammen. Ich finde es stets faszinierend, in ein neues Projekt einzutauchen und mich ganz in den Dienst der Vision der Regie zu stellen.
Zum Schluss: Mit welcher Regisseurin oder welchem Regisseur würdest du gerne einmal arbeiten?
Nun, in der Schweiz liebend gerne mit Ursula Meier.