Talking to ...
Peter Mettler über sein Schaffen und seine filmische Inspiration
16.10.2023
Der schweizerisch-kanadische Regisseur Peter Mettler wurde am Festival DOK Leipzig für sein filmisches Tagebuch WHILE THE GREEN GRASS GROWS mit der Goldenen Taube des Internationalen Wettbewerbs ausgezeichnet. SWISS FILMS hat sich mit ihm über sein Schaffen und seine filmische Inspiration unterhalten.
Heute geben Sie Meisterklassen für Jung und Alt, aber wer hat Sie damals zum Filmemacher gemacht, der Sie heute sind?
In der Schule gab es einen Super-8-Filmclub, wo man sich nach dem Unterricht eine Kamera schnappen und Filme drehen konnte. Ich probierte es aus, und mir war sofort klar, dass ich dieses Medium mag. Es war für mich eine Art zu sehen, eine Musikalität ausdrücken und es begleitete mich auf allen möglichen Erkundungen. Als ich 15 oder 16 Jahre alt war, gab es einen Film, der mich wirklich beeindruckt hat: THE MAN WHO FELL TO EARTH von Nicolas Roeg mit David Bowie. Weil ich ein Bowie-Fan war, habe ich mit diesem Film eine neue Sprache entdeckt. David Bowie spielte die Rolle eines Ausserirdischen; er war hyperintelligent und erfand alle möglichen Dinge auf der Erde –ein Aussenseiter mit einer anderen Wahrnehmung der Realität. Ich fühlte mich von all dem angesprochen, und das führte dazu, dass ich mich für das Filmemachen interessierte.
Später begann ich dann ein Filmstudium. Zu dieser Zeit beeinflussten mich Michelangelo Antonioni, das neue deutsche Kino – Wim Wenders, Werner Herzog –, Experimentalfilme, die amerikanische Avantgarde mit Stan Brakhage oder Michael Snow. Es sind also all diese Einflüsse, wie auch meine musikalische Sensibilität, die dazu beigetragen haben, den Filmemacher zu formen, der ich heute bin.
Gibt es Dinge in der Regie, die Sie heute nicht mehr tun würden?
Ich denke, ich habe mich vom Psychodrama entfernt, von der Einbeziehung u.a. von Schauspieler:innen und Drehbüchern mit dem Ziel, innere Visionen zu suggerieren. Stattdessen habe ich mein Interesse auf die Visualisierung in der realen Welt gerichtet, was als dokumentarisch bezeichnet werden kann. Es handelt sich jedoch nicht wirklich um eine Dokumentation. Es ist vielmehr die Interpretation von Erfahrungen, die ich in der realen Welt gemacht habe, die sich an der Erforschung verschiedener Themen orientiert. Eines Tages werde ich vielleicht zum Spielfilm zurückkehren, mit einem ganz neuen Ansatz, der von dem beeinflusst wird, was ich seit vielen Jahren in Form von sensorischen dokumentarischen Essays (ein Genre, das noch nicht richtig benannt wurde!) mache.
Haben Sie ein Projekt, das Ihnen schon lange am Herzen liegt und das Sie noch nicht verwirklichen konnten?
Das Projekt, an dem ich gerade arbeite (WHILE THE GREEN GRASS GROWS), ist wollte ich schon lange machen. Es beinhaltet ein hohes Mass an Freiheit und Erkundung und funktioniert ausserhalb der Struktur eines Spielfilms. Es handelt sich um eine prozessorientierte Erkundung, die sich in mehreren Filmen niederschlagen wird, die durch den Faden der Chronologie miteinander verbunden sind. Die einfache Beobachtung und Anerkennung der Art und Weise, wie die Dinge im Alltag ablaufen, ist der Schlüssel dazu – ebenso wie die Art und Weise, wie wir ihre Bedeutung und Erzählung schaffen.
Es scheint keine Zeit mehr für andere aktuelle Projekte zu geben.
Ja, das ist richtig. Dieses Projekt ist eigentlich ein Tagebuch. Es geht also darum, die Dinge so anzugehen, wie sie sich entwickeln. Ich versuche so gut wie möglich präsent zu sein und nicht zu weit in andere Richtungen zu denken.
Welchen Einfluss hat es auf Ihr Werk, dass Sie zwischen der Schweiz und Kanada arbeiten?
Einen sehr grossen Einfluss! Meine doppelte Staatsbürgerschaft, mein Doppelleben und meine doppelte Ausbildung haben meine Arbeitsweise, meine Identität sowie meine Lebensweise erheblich geprägt. Seit Jahrzehnten bewege ich mich von einem Land zum anderen. Ich bin sowohl Teil der europäischen als auch der nordamerikanischen Filmkultur. Aber auch der ständige Perspektivenwechsel, das Eintauchen in die eine Kultur und Sprache und dann in die andere, ermöglicht einem eine besondere Sichtweise und fördert gleichzeitig den Sinn für assoziative Arbeit, was meine Filme in erheblichem Masse sind. Diese präsentieren assoziative Elemente, auf die der Zuschauer reagieren muss. Also ja, diese Situation hat einen grossen Teil meines Charakters geformt und hat Einfluss auf die Ästhetik meiner Filme.
Haben Sie Zeit, sich Filme der jüngeren Generation anzusehen?
In letzter Zeit habe ich mich ziemlich zurückgezogen, weil ich selbst gearbeitet habe. Ich habe nicht viele Leute gesehen, ausser den Personen, mit denen ich zusammenarbeite oder, die mich bitten, z. B. als Berater oder Mentor zu fungieren. An meiner aktuellen Filmreihe arbeite ich fast allein mit Jordan Kawai, einem Editor, und seit kurzem mit Cornelia Seitler, Produzentin von maximage in Zürich. Wir haben damit begonnen, zwei Teile öffentlich vorzuführen, was mir die Möglichkeit gibt, wieder Kontakt mit der Szene aufzunehmen und hoffentlich ein paar Filme nachzuholen, welche in den Kinos anlaufen. Die Herstellung eines Films erfordert jedoch viel Zeit und Konzentration. Daher ist es bedauerlich, dass ich nicht verfolgen konnte, was die anderen machen.
In einem Interview haben Sie sich als Kurator und als «Showrunner» bezeichnet. Hier haben Sie die Gelegenheit, fünf Filme zu nennen, die Sie lieben – das können auch eigenen Filme sein.
Es gibt so viele! Ich kann einige Filme erwähnen, die für mich eine Art Offenbarung waren: die Werke von Johan van der Keuken, wie AMSTERDAM GLOBAL VILLAGE, die Filme von Andrej Tarkowskij, von dem ich als erstes NOSTALGHIA gesehen habe oder von Michelangelo Antonioni THE PASSENGER. Nicht zu vergessen, der bahnbrechende SANS SOLEIL von Chris Marker, den alle Filmkritiker erwähnen und der auch auf mich eine grosse Wirkung hatte. Unter meinen eigenen Filmen würde ich mich für GAMBLING, GODS AND LSD entscheiden. Wenn man ein Leben als Filmemacher lebt und sich ganz darauf einlässt, ist jeder Film eine äusserst bedeutsame Erfahrung, die zu einem tiefen Teil des eigenen Wesens wird und sich völlig von dem Film eines anderen unterscheidet, den man im Kinosaal anschaut. Natürlich gehören die eigenen Filme zu den einprägsamsten Erfahrungen im Leben.
Und die letzte Frage: Wie würden Sie Ihre Art zu filmen in drei Worten erklären?
Nun, auf eine alberne Frage gebe ich Ihnen eine alberne Antwort: «Go with flow».
Übersetzt aus dem Englischen.
Wer mehr über Peter Mettler und seiner Arbeitsweise wissen will, kann hier den Mitschnitt seiner Masterclass am DOK Leipzig schauen. Die VOD Plattform DA Films zeigt in Zusammenarbeit mit SWISS FILMS und DOK Leipzig online eine kuratierte Peter-Mettler-Retrospektive.