BEYOND THE SCREEN

Die Kostümdesignerin Laura Locher erklärt, wie Kostüme das Spiel von Schauspieler:innen beeinflussen und inwiefern sich Mode- und Kostümdesign unterscheiden.

21.11.2024

Laura Locher hat in Dänemark Modedesign studiert und ist seither als Kostümdesignerin für Spielfilme, Theater und Oper und als freischaffende Künstlerin tätig. Ihr Schaffen ist in zahlreichen Schweizer Filmen und Koproduktionen zu sehen, unter anderem in BLUE MY MIND von Lisa Brühlmann, SOUL OF A BEAST von Lorenz Merz oder in CALCINCULO der italienischen Regisseurin Chiara Bellosi. Zurzeit arbeitet Laura Locher am Kostümdesign für Nicolas Steiners neuen Film SIE GLAUBEN AN ENGEL, HERR DROWAK?, der 2025 Premiere hat.

Wie bist Du Kostümdesignerin geworden?

Ich habe acht Jahre in Dänemark gelebt, wo ich Modedesign studiert habe. Zurück in der Schweiz wollte ich nicht im kommerziellen Modebereich arbeiten. Regisseurin Lisa Brühlmann, die damals während ihres Studiums an einem Kurzfilm arbeitete, fragte mich an, ob ich die Kostüme machen wollte. Im Anschluss ergaben sich weitere Projekte als Kostümbildnerin in Film, Theater und Oper. Vieles von dem, was ich während meiner Modedesignausbildung gelernt hatte, kann ich auch als Kostümbildnerin ausleben. Die künstlerischen Prozesse sind zum Teil sehr ähnlich. Kostüme sind jedoch Unikate, in der Mode werden Kleider massenproduziert. Da ich vor allem Freude an der Ideenfindung, dem Prozess und der Kreation habe, ich das Kostümbild eine ideale Ausdrucksweise für mich.

Wie hat dich Dänemark geprägt?

Ich war während meiner formativen Zeit in Dänemark, was mich sehr geprägt hat. Das Studium fand auf dänisch statt, dadurch habe ich die dänische Kultur kennengelernt. An der Designskolen Kolding habe ich Design-thinking gelernt– ein enorm wertvolles Werkzeug für den Prozess all meiner Projekte. Der schwarze Humor, die Herzlichkeit, hohe emotionale Intelligenz, Selbstironie und eine zum Teil sehr moderne Denkweise der Dänen faszinieren mich noch heute.

Ab welchem Zeitpunkt bist du in die Projekte involviert?

Zum Teil werde ich bereits Jahre bevor ein Projekt finanziert ist, angefragt, Moods für die Figuren zu entwickeln. In anderen Fällen höre ich erst ein halbes Jahr vor Drehbeginn von einem Projekt. Die Vorbereitungsphase beginnt dann offiziell 4 bis10 Wochen vor Drehbeginn, je nach Aufwand und Grösse des Projekts. In vielen Fällen entwickle ich die ersten Ideen jedoch bereits vorher.

Mit wem arbeitest Du in der Vorbereitungsphase und am Set am engsten zusammen?

Der grösste Teil der Designarbeit findet vor dem Dreh statt. Das Kostümbild kommt mit vielen verschiedenen Departments in Berührung, wie etwa der Regie, Schauspiel, Maske, Production Design, Kamera, Ton, oder Special Effects. Ich arbeite deshalb oft mit sehr vielen Menschen gleichzeitig zusammen. Auf dem Set am engsten mit der Set Costume und meiner Assistenz. 

Was war dein schönstes Projekt?

Das war CALCINCULO von Chiara Bellosi, eine Koroduktion von tellfilm mit der italienischen Produktionsfirma tempesta. Ich durfte dafür drei Monate in Rom verbringen. Die Vorbereitung und der Dreh fanden in Rom statt, die letzte Drehwoche verbrachten wir in Lugano. Der grösste Teil der Crew war italienisch und die Zusammenarbeit war einfach traumhaft.

Es war eine schöne Herausforderung, die Kostüme für die non-binäre Amanda zu finden und in Zusammenarbeit mit der Regisseurin und dem Schauspieler einen ganz eigenen Stil für diese Figur zu entwickeln. Während der Anproben schälte sie sich mehr und mehr heraus, was für eine Figur Amanda sein sollte. Der Produktionsleiter verstand sehr viel vom Kostümdesign und konnte deshalb Herausforderungen nachvollziehen und sogar antizipieren. Überhaupt arbeitete die italienische Crew äusserst professionell, was wohl mit ihrer langen Filmtradition zusammenhängt.

Müssen die Kleider besonderen Ansprüchen genügen?

Ja, die Kostüme sollen einerseits den Charakter der Figur mitzeichnen und den Schauspielenden helfen, in ihre Rolle zu finden. Das ist die emotionale Ebene. Andererseits sind sie Teil der Bild-Gestaltung und die Farben, Strukturen und Formen der Kostüme prägen die visuelle, künstlerische Ebene des Filmes. Dies erfordert eine enge Zusammenarbeit mit Regie, Production Design, Kamera und Maske.

Je nach Szene kommen dann noch weitere, beispielsweise technische Ansprüche hinzu. Etwa wenn ein Neoprenanzug unter dem Kostüm getragen werden muss, weil die Figur in einen kalten See fallen soll. Oder eine Schauspielerin soll durch einen Raum schweben und trägt dafür unter dem Kostüm ein Korsett, an dem Stahlseile befestigt sind.Kompliziert wird es, wenn dasselbe Kostüm in mehreren Szenen vorkommt und ganz unterschiedlichen Ansprüchen genügen muss.

Was war die heikelste Situation für dich am Set, wo du mit Faden und Nadel eingreifen musstest?

Am Set greift normalerweise die Set Costume oder die Assistenz ein, wenn kurzfristig irgendetwas an den Kostümen geändert werden muss. Aber einmal ging während des Drehs ein Kostüm verloren, das noch in weiteren Szenen zu sehen sein sollte –ein Cardigan aus einem Secondhandladen. Wir mussten ihn dann innerhalb von 24 Stunden nachmachen: Wir haben einen ähnlichen Strickpulli gefunden, umgenäht, die richtigen Knöpfe angenäht, das Muster mit Filzstift aufgemalt, den Pulli mit Schwarztee gefärbt. Als wir ihn nach 24 schlaflosen Stunden ans Set brachten, meinte der Regisseur: Ah! Habt ihr ihn gefunden?

Wie wichtig sind die Bequemlichkeit und die historische Korrektheit der Kostüme?

Die Kleider sind im Idealfall bequem, damit die Schauspielenden sich auf das Spielen konzentrieren können. Zum Beispiel benutzen wir für die Patinierung von Kostümen meistens nicht echten Schmutz, sondern Farbe, damit sie nicht schlecht riechen. Das Körpergefühl ist jedoch sehr wichtig, also wie sich ein Schuh am Fuss anfühlt, wie dieser den Gang beeinflusst oder wie eng ein Kleidungsstück am Körper liegt. Bequemlichkeit ist deshalb nicht immer das Ziel.

Ob Kostüme historisch korrekt sein sollen, hängt ganz vom Projekt und der Vision der Regie ab. Ein Kostüm funktioniert manchmal besser, wenn es nicht historisch korrekt ist, weil es wichtiger ist, eine bestimmte Stimmung zu unterstreichen oder einen poetischen Moment hervorzurufen.

Musstest Du bei Kostümen schon mal ein Veto einlegen?

Ja, aber nicht aus technischen Gründen, sondern aus finanziellen, weil für eine Szene zu viele Mehrfachkostüme nötig waren: Es sollten sechs Leute in Anzügen ins Wasser springen. Jeden Anzug dreifach zu kaufen, war schlicht zu teuer. Die Szene wurde dann umgeschrieben und schliesslich sprang nur eine Person ins Wasser.

Was passiert mit den Kostümen nach dem Dreh?

Das ist unterschiedlich. Bei meinem letzten Film wollte die Produktion die Kostüme der Hauptrollen behalten, falls noch etwas nachgedreht werden sollte. Die italienische Produktion behielt alle Kostüme bis der Schnitt fertig war, dann schenkten sie sie einer Filmschule. Manchmal darf ich einige Kostüme übernehmen. Manche werden an die Crew verkauft oder landen im Secondhand. Gewisse Schauspielende wollen gerne ihr Kostüm oder Teile davon behalten. Was vom Fundus oder privat geliehen war, geht an die entsprechenden Stellen zurück.

Braucht es dich ständig vor Ort oder bist du nach Übergabe der Kostüme fein raus?

Wenn ein neues Kostüm angedreht wird, bin ich immer am Set. Ich schaue mit Regie und Kamera, ob das Kostüm im Kontext auch wirklich funktioniert. Da es meist viele Rollen gibt und diese unterschiedliche Kostüme tragen, bin ich oft am Set. Und wenn ich im Ausland arbeite, bin ich immer am Set.

Gibt zwischen der Arbeit für das Theater oder den Film grosse Unterschiede?

Die Drehzeit eines Films entspricht in etwa der Probezeit beim Theater. Auch beim Theater bin ich viel vor Ort, entweder für die Anproben oder bei den Proben. Kostümarbeit ist sowohl beim Film als auch beim Theater sehr kleinteilig und so müssen viele Entscheidungen getroffen werden: die Länge und Art des Saums, die Textur des Stoffes, genaue Farbnuancen, die Form eines Ärmels, die Kombination von verschiedenen Kostümteilen miteinander - nebst dem Gesamtausdruck natürlich. All dies erfordert viel Zeit und eine enge Zusammenarbeit mit der Schneiderei, Assistenz, Maske, Schauspielenden, Regie, Bühne und deshalb auch viel Präsenz. Von dem her sind sich Film und Theater sehr ähnlich.

Du arbeitest mit vielen verschiedenen Filmemacherinnen zusammen. Das ist erstaunlich. Im Film sieht man oft Zusammenarbeiten fürs Leben. Ist das beim Kostüm anders?

Auch beim Kostüm ergeben sich Zusammenarbeiten fürs Leben, entweder mit Regie, aber auch Produzenten und Kostümassistent:innen. Wenn eine fruchtbare Zusammenarbeit entsteht, ist das sehr wertvoll, weil man bei jedem Projekt mit komplett neuen Teams arbeitet. Da kann es schön sein, wenn man Teammitglieder und deren Arbeitsweise bereits kennt. So arbeite ich zum Beispiel immer wieder mit meinem Bruder Dominik Locher zusammen, für Film und Theater.

Wie kommen Kollaborationen zustande?

Es kann sein, dass ich zum ersten Mal mit einer Regisseurin oder einem Regisseur an einem Kurzfilm arbeite und sie mich später für einen Spielfilm engagieren. Oder jemand sieht einen Film im Kino, wo ich die Kostüme gemacht habe, und fragt mich an. Oder ich werde weiterempfohlen.

Du unterrichtest auch. Wie sieht die Ausbildung in diesem Bereich aus?

In der Schweiz gibt keinen Kostümstudiengang und in Deutschland nur ganz wenige. Dies finde ich problematisch, weil Filmstudierende, angehende Regisseur:innen, DOPs etc. während ihres Studiums mit den anderen Departementen in Berührung kommen, jedoch nicht mit dem Kostümdesign (oder Maske). Das Kostümdepartement muss deshalb oft während eines Projekts sehr viel Erklärungsarbeit leisten, was Zeit und Energie raubt.

An welchen Projekten würdest du gerne arbeiten?

Ich würde sehr gerne einmal in Dänemark arbeiten, weil mir dänische Filme sehr gut gefallen und mich die dänische Arbeitsweise interessiert. Ich habe bereits mehrmals ausserhalb der Schweiz gearbeitet und fand dies jeweils sehr bereichernd. Mich an einem ganz neuen Ort zurechtfinden zu müssen, die Menschen und ihre (Film)Sprache kennenzulernen, finde ich unglaublich toll.

Gibt es eine Epoche, einen Stil, der dir besonders naheliegt?

Den Empire-Stil mag ich sehr, ebenso die 1920er- und 1980er-Jahre. Aber ich liebe es auch, in andere Kulturen einzutauchen und deren Stil kennenzulernen.

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